ESSAY-
Essay-
Zu wenig Zeit für Befreiung?
© Bernd Helge Fritsch
Von Roland, einem lieben Freund, habe ich als Reaktion auf meinen Essay-
Lieber Bernd,
Danke für den schönen Brief. Er hat mir besonders gut gefallen. Verrückt ist, dass deine Briefe eigentlich immer dasselbe beinhalten. Dennoch ist es so schwer es zu erfassen. Vor allem in einer Zeit wo ich wiedermal das Gefühl habe so weit wie noch nie von innerer Ruhe entfernt zu sein. Voll drin in der dualen Welt. Vor allem fordernde Kids prüfen mich/uns derzeit sehr.
Um ehrlich zu sein, zehren folgende Sätze aus deinem Brief (Essaybrief vom Okt. 2019) an meiner Motivation. Und das ist auch der Grund warum ich dir heute schreibe.
"Um zu erfassen wer wir sind, ist ein radikales Umdenken erforderlich. Soweit wir in der Geschichte der Menschheitsentwicklung zurückblicken können, sind uns nur wenige Lichtgestalten bekannt, denen dieses Umdenken gelungen ist."
Gleich kommt dazu die Frage in mir auf: Wie soll ich es dann schaffen? Ein paar von den Jungs kenne ich ja. Jesus, Ramana Maharshi, Meister Eckhart, etc. Aber haben die nicht ihr gesamtes Leben nur diesem "Einen" gewidmet? – Durch verzichten, meditieren, zurückziehen, studieren. Muss ich das/will ich das? Will ich schon, aber ist es auch möglich es zu schaffen neben Arbeit, Kids, lauten Nachbarn...?
Ich danke dir herzlich!
Alles Liebe – Roland
In einem weiteren Mail schildert Roland seinen Alltag neben Familie und Arbeit wie folgt:
„-
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-
Sein Fazit dazu:
Aktiv mache ich genug. Fühlt sich gut an und passt. Was mir fehlt ist eine Art Schutzkugel die mich manchmal umhüllen sollte, damit ich diesen vielen Anforderungen, Wünschen, und Erwartungen mit Gelassenheit entgegensehen kann. Dabei ist mir jedenfalls bewusst: Die Welt kann ich nicht ändern, meine Antwort darauf schon.
Hier mein Antwortschreiben an Roland, welches ich zum vorliegenden Essay-
Lieber Roland, wie du treffend schreibst, beinhalten meine Essaybriefe im Grunde
immer dieselben Botschaften. Wer die Lehren eines Buddha, Sokrates, Jesus, Eckhart
und anderer großer Meister der vergangenen Jahrtausende studiert, wird bald erkennen,
wie sie in der Essenz alle aus derselben Weisheits-
Man kann sagen, dass seit den uralten Schriften des Alten und Neuen Testaments, seit
den Upanishaden und der Bhagavad-
Auf jeden Fall ist es wunderbar wenn wir nachvollziehen dürfen, wie die „Eine Realität“ von verschiedenen Seiten beleuchtet und geschaut werden kann. Und es ist beglückend zu erkennen, dass auch jeder von uns in der Lage ist sich auf seine eigene Art mit diesem „Einen“ zu verbinden.
Vollkommenheit
Du vergleichst dein Leben mit dem der großen Meister, denen es ihre Lebensumstände erlaubt haben – wie du schreibst – „durch verzichten, meditieren und zurückziehen“ höchste Weisheit und Befreiung zu erlangen. Du fragst dich: „Muss ich das? Will ich das?“ und antwortest: „Will ich schon, aber ist es auch möglich es zu schaffen neben Arbeit, Kids, lauten Nachbarn…?“
Du vermeinst nicht genügend Zeit für deine spirituelle Entwicklung zu haben. Dabei unterliegst du einer Täuschung. Auch durch mehr Zeit für dich wirst du dein Ziel nicht schneller erreichen. Sondern im Gegenteil: Dein angestrengtes Suchen behindert dein ersehntes „Erwachen“.
Vergiss deine Suche! Vergiss deine Bemühungen! Denn du bist bereits vollkommen! Und ebenso vollkommen ist deine Lebenssituation! Denn alles Geschehen im Universum ist – so sehr dies unserer gewohnten Denkweise widersprechen mag – von göttlicher Weisheit und Liebe durchdrungen.
Was den Menschen allgemein fehlt, ist allein das Bewusstsein ihrer Gött-
Es existiert nichts außerhalb des höchsten allumfassenden Seins. Das können wir am
einfachsten in der uns umgebenden Natur erkennen. Ist nicht jede Landschaft, jede
Blume, jedes Tier eine Manifestation göttlicher Vollkommenheit? Ist nicht auch alles
Geschehen in unserem Körper, die ständige Erneuerung und das Zusammenspiel aller
Körper-
Jeder Mensch besteht aus nichts anderem als aus Göttlichkeit. Und sogar unsere „Unvollkommenheiten“ – die wir so gar nicht lieben – sind ein wichtiges Element in der überall präsenten Vollkommenheit.
Allerdings genügt es nicht diese Vollkommenheit nur intellektuell zu erfassen, sondern es gilt mit ihr jenseits von Worten in der Stille des Herzens eins zu sein.
Lernet von den Lilien
Zum Unterschied vom Menschen leben die Pflanzen und Tiere ihre Göttlichkeit ohne dabei von Gedanken behindert zu sein. Sie machen sich keine Sorgen und leben ausschließlich im Hier und Jetzt.
Von dieser herrlichen Vollkommenheit erzählt das Matthäus-
Lernet von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht.
Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen.
Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wie viel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!...
Suchet daher zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere dazugegeben.
(Mt 6/28 – 33)
Suche
Weshalb behindert unsere Suche nach Erleuchtung deren Verwirklichung? Vorerst weil wir dabei davon ausgehen, dass wir nicht vollkommen, sondern schwach, fehlerhaft und unvollkommen sind. Wir vermeinen uns mächtig anstrengen müssen um Fortschritte zu erreichen. Die Kraft dieser negativen Gedanken blockiert uns, verursacht unnötigen Stress und stört die Freude am gegenwärtigen Sein.
Zudem bedeutet „Suche“ Zukunft. Doch Befreiung kann nicht in einer Zukunft geschehen, die bekanntlich nicht existiert und niemals stattfinden wird, sondern nur ein gedankliches Konzept ist. Befreiung kann sich nur hier und jetzt, in diesem Augenblick ereignen. So wie sich unser Leben einzig und allein nur im „Jetzt“ stattfindet. Hingegen ist alles, was auf Zeit aufbaut, eine Illusion.
Wer auf eine bessere Zukunft hofft, macht keine Fortschritte, sondern versäumt das Leben. So erklärt Nisargadatta Maharaj:
„Vergangenheit und Zukunft sind nur mentale Zustände.
Wenn du Zeit brauchst um etwas zu erreichen,
kann es nicht die Wahrheit sein“
Unser Denken – Segen und Fluch
Der Weg zur Befreiung führt von unbewusster Göttlichkeit zum bewussten Schauen des Lichts.
Der Mensch ist nicht nur ein göttliches Wesen wie Pflanzen und Tiere, sondern zudem
ausgestattet mit der Fähigkeit Denken-
Unser Denken bewirkt vorerst Trennung. All unsere dualen Unterscheidungen, wie „Ich“
und die „Anderen“, „Gut und Böse“, „Begehre ich“ und „Lehne ich ab“ und die damit
verbundenen Wünsche und Sorgen, entstehen durch unser Denken. Wie im Gleichnis der
Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies geschildert, beginnt der beschwerliche
Erden-
Der Mensch sondert sich im Denken von seiner ursprünglichen Einheit mit Gott, mit dem Sein. Statt dessen identifiziert er sich mit seinem Körper, seinem Mind, seinen Erfahrungen, und mit all dem, was er als „mein“ bezeichnet, wie meine Familie, mein Beruf, meine Besitztümer, mein Heimatland usf. In seinem Bewusstsein wird er dadurch zu einer eigenständigen, vom Rest der Welt getrennten Persönlichkeit.
Zugleich geht dabei sein Wissen um seinen göttlichen Ursprung, um seine Einheit mit
allem Sein verloren. Auf diese Art entfaltet sich sein Ego-
Wir benötigen unser Denken um uns in der dualen Welt, in der Welt der Erscheinungen zurecht zu finden und um den uns vom Schicksal zugedachten Aufgaben und Herausforderungen zu entsprechen.
Zum anderen, und das ist seine primäre Mission, ermöglicht uns das Denken uns selbst
zu erkennen. Denn – wie im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ beschrieben – müssen wir
auf unserem Lebensweg vorerst die Verirrungen und Kümmernisse der Trennung vom „Vaterhaus“
erfahren. Erst dann können wir unsere Ego-
Unser Rollenspiel auf der Bühne des Lebens
Das Leben und Wirken der Menschen auf Erden gleicht einem Bühnen-
Doch sind wir wirklich so frei wie wir glauben zu sein? Weshalb hast du dich entschieden
meine Essay-
Beobachter sein
So wie ein wirklicher Schauspieler sich schon während seines Bühnenauftritts bewusst
ist, nicht identisch mit der von ihm gespielten Person zu sein, so sollte jeder Mensch
zur Erkenntnis erwachen, dass er nicht ident ist mit den Rollen, die ihm das Schicksal
während seines Erden-
Die einzelne Persönlichkeit ist nicht frei bei dem „Bühnen-
Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Rolle, die uns das Schicksal vorgegeben hat, zu verbessern, ein „guter“ Mensch zu werden und unsere Schwächen zu bekämpfen. Denn wir sind nicht die Rolle, die wir manifestieren und sind nicht unser Ego mit seinen Schwächen und Stärken!
Und so bist du auch nicht die Rolle die du in diesem Leben als Ehemann, Vater, Arbeiter, Freund usw. zu spielen hast.
Allerdings sowohl der Weise als auch der normale Mensch müssen, solange sie mit einem Körper verbunden sind, ihre Rolle im Schauspiel des Leben spielen. Sie haben keine andere Wahl. Der normale Mensch identifiziert sich dabei mit seiner Rolle und befindet sich in vielen Bereichen im Konflikt mit ihr. Deshalb versucht er immer wieder, zum Teil mit großer Anstrengung, sein Leben besser und glücklicher zu gestalten.
Dem Weisen hingegen ist bewusst dass alles diesbezügliche Bemühen vergeblich ist. Denn was immer geschehen wird, ist von der Gesamtheit des Seins vorherbestimmt.
Was wir jedoch tun können, ist bewusster werden. Wir können uns von der Identifikation mit unseren Rollen durch Erkenntnis befreien. Wir haben die Möglichkeit das Walten der Maya zu durchschauen und damit zu erwachen.
Sodann werden wir, statt uns weiter zu bemühen, zu rackern und zu kämpfen, das irdische Geschehen ringsum liebevoll und gelassen beobachten und annehmen „Was ist“.
So mutieren wir vom begrenzten Ego zur unbegrenzten Weite des Beobachters.
Reine Wahrnehmung
Seit Jahrtausende sind wir darauf programmiert zu jeder Wahrnehmung blitzartig eine
Bewertung hinzuzufügen, sie zu be-
Auf diese Art nehmen wir nicht wahr „Was ist“, sondern wir erschaffen unbewusst ein
verzerrtes, höchst einseitiges Bild von der Welt, welches durch die Vorlieben und
Abneigungen unseres Egos bestimmt wird. Das hat weitreichende Folgen, denn es führt
zu innerem Widerstand und Unzufriedenheit gegenüber dem, „Was ist“. Es führt zu rastlosem
Glück-
Dadurch lebt jeder Mensch eingeschlossen in seiner Ego-
Befreiung geschieht wie von selbst wenn wir das Ego-
Der Weise beobachtet neutral „Was ist“ ohne daran egozentrische Gedanken und Bewertungen zu knüpfen. Er unterscheidet und bewertet dabei nur, soweit es für das praktische Leben erforderlich ist.
Der Weise befindet sich vorwiegend im beglückenden Zustand der „Reinen Wahrnehmung“. In diesem Zustand verlässt du die Einteilung der Welt in dies und das. Du bist verbunden mit dem Ganzen, mit der Einheit und Vollkommenheit des Seins. Das duale Denken ist aufgehoben. Du wirst zum Fluss des Lebens. Jede Identifikation mit deinem Körper, deinen Gedanken, mit all dem, was du als „mein“ bezeichnest ist beendet. Eine wohltuende Stille voller Frieden und Harmonie erfüllt dich.
Tun was zu tun ist und Lassen was nicht zu tun ist
Durch „Reine Wahrnehmung“ werden wir nicht tatenlos. Egofreies Erkennen und sachliches Unterscheiden von dem „Was ist“, findet weiter statt. Aus dieser Stille taucht intuitiv auf was zu tun und was zu unterlassen ist.
Freudige und schmerzhafte Gefühle werden sich gelegentlich auch in der befreiten Seele weiterhin einstellen. Du nimmst sie an wie sie sind, beobachtest sie, tust was zu tun ist, doch du identifizierst dich nicht mit ihnen.
Wenn du achtsam prüfst, was wirklich zu tun ist und unterlässt, was nicht zu tun ist, wirst du erstaunlich viel Zeit haben und innere Ruhe finden.
Zugegeben es erfordert gewiss ein hohes Maß an Achtsamkeit um sich aus unserem uralten Denkmuster des egozentrischen Bewertens zu befreien. Dabei ist es nicht nützlich sich anzustrengen, denn du musst nichts erreichen, nichts tun sondern nur überflüssiges Denken unterlassen. Durch entspannte, stete Beobachtung deiner Gedanken und Emotionen wird das gelingen.
Das Ende vom Problem mit der Zeit
Schließlich stellt sich nicht mehr die Frage ob du „es schaffst“ wie die großen Weisen
erleuchtet zu sein. Denn auf der Bewusstseins-
Anders gesagt, wenn sich das Ego mit seinen dualen Unterscheidungen auflöst, dann ist da niemand mehr, der von etwas befreit sein will.
Befreiung ereignet sich wie von selbst, wenn du aufhörst dies oder das zu sein. Dein Ego löst sich auf. Sodann ist da selige Wahrnehmung und seliges Erkennen, aber keiner mehr der wahrnimmt und versteht – denn das Ego schweigt.
Du wirst zum „Nicht-
All das bedeutet Erwachen aus der hypnotischen Einbildung von Trennung, Mangel, Unvollkommenheit.
Wenn da niemand mehr ist, der etwas Besonders sein will, wo gibt es dann noch dein Problem mit „zu wenig Zeit“, um Befreiung zu erlangen?
Herzliche Grüße
Bernd